Sie überfielen die
Schule um 10:42. Das hatte weder den Grund, dass 42 die einzige
Antwort auf alles ist (wodurch es somit der eigentliche Grund sein
müsste) oder dass die Quersumme dieser Uhrzeit die magische Zahl 7
ist, sondern einfach den Grund, dass um 10:42 die meisten Schüler
und Lehrer in der Schule sind und Unterricht haben.
Für das Vorhaben,
eine große Menge Geiseln zu nehmen, war diese Zeit also perfekt.
Doch nicht nur die schiere Anzahl jugendlicher Geiseln war perfekt,
sondern auch, dass alle von ihnen Angehörige oder zumindest einen
Vormund oder wenigstens irgendwen haben mussten, der sich auf
irgendeine Weise für die Kinder interessiert, und den es somit
emotional berühren musste, dieses Kind in der Gewalt von
Geiselnehmern zu wissen. Und sogar Lehrer sollen ja Freunde oder
dergleichen haben.
Die auf das
Stadtbild bezogen sehr zentrale Lage der Schule war vollkommen
irrelevant. Man hatte über 1500 Geiseln in einem abriegelbaren
Gebäude. Was sollte passieren? Natürlich hatte das Gebäude viele
Eingänge, doch wenn man an jeder Tür eine fernzündbare, überwachte
Bombe anbrachte, spielte das keine Rolle mehr. Das Schulhaus war also
sicher. Zumindest für die Angreifer.
Als sie die Schule
betraten, waren sie perfekt vorbereitet. Jeder der 50 wusste, was er
wo zu tun hatte. Der Plan sah vor, so viele unbeachtete Eingänge wie
möglich ohne Aufsehen zu verbomben. Man hätte damit einen Vorsprung
bei dem Zeitpunkt der Entdeckung des Vorhabens.
Sobald dieser erste
Schritt abgeschlossen sein würde, sollte das Sekretariat und die
zentralen Büros mitsamt den sich dort befindlichen Führungspersonen
übernommen werden. Die Tatsache, dass sich just an diesem Tag ein
hochrangiger Beamter des Kultusministeriums in der Schule befand, war
ein seltener Glücksfall für die Aggressoren. Sie wussten zwar im
Vornherein nichts davon, nahmen es aber bereitwillig zur Kenntnis.
Sofern auch das geschehen war, sollte eine Durchsage die sich im Haus
befindlichen Schüler und Lehrer über ihre missliche Lage aufgeklärt
werden. Sie sollte sich ruhig verhalten und warten, aus ihren
Klassenzimmern abgeholt zu werden. Verstecken sei zwecklos, das ganze
Gebäude werde durchsucht werden. Nach dieser Durchsage wurden alle
übrigen, noch benutzbaren Eingänge verschlossen. Schüler und
Lehrer, die zu diesem Zeitpunkt Freistunden hatten, wurden
gefangengenommen und zu den zentral gelegenen Sammelplätzen
gebracht, wo auch die übrigen Massen aus den Lehrräumen getrieben
wurden. Pro Stockwerk gab es einen solche Sammelplatz.
Bis zu diesem
Schritt klappte der Plan perfekt. Alle Eingänge waren abgeriegelt
und überwacht, die wichtigen Büros waren gekapert, die Geiseln
zusammengetrieben. Nun sollte das Schulhaus auf verbliebene Geiseln
abgesucht werden. Die meisten der Geiselnehmer blieben zur
Überwachung bei den Schülern und Lehrern, die restlichen
durchsuchten in Zweierteams das Gebäude. Aufgrund ihrer gründlichen
Planung kannten sie den Grundriss und den Aufbau des Hauses in-und
auswendig und gingen entsprechend zielstrebig und konsequent vor.
Das Team, den fünften
Stock untersuchte, kam relativ gut voran. Dieses Stockwerk war im
Vergleich zu den darunter liegenden wesentlich übersichtlicher. Es
war kleiner, hatte weniger Räume und wurde weniger benutzt. Jedoch
konnte man es nur durch einen separaten, kleinen Aufzug und eine
Feuertreppe an der Gebäudeaußenseite erreichen. Da der Aufzug gut
gewartet war, erreichte das Team problemlos die gewünschte fünfte
Ebene. Die Durchsuchung verlief genauso ereignislos.
Eine entsprechende
Meldung wurde gemacht und das Team kehrte zum Aufzug zurück. Dieser
befand sich am eine eines das gesamte Stockwerk durchlaufenden
Ganges. Als das Team besagten Gang zur Hälfte zurückgekehrt war,
blieb einer abrupt stehen. Sein Kollege drehte sich erstaunt um und
wurde auf die offene Tür des Fahrstuhls aufmerksam gemacht. „Wir
haben doch einen gefunden“, setzte Teammitglied 1 als Meldung ab,
während sich auf der Stirn über seinen aufgerissenen Augen
Schweißtropfen bildeten.
Und das hatten sie
wirklich. In der offenen Tür des Aufzugs stand ein Jugendlicher. Er
wirkte wie ein gewöhnlicher Teenager. Zugegeben, er war relativ
groß, sogar fast zwei Meter mit Schuhen. Aber das machte keinen
besonderen Eindruck auf die Teammitglieder. Der Junge trug eine
dunkle Jeans, feste Schuhe, ein kariertes Hemd und darüber eine
graue Kapuzenjacke. Sein Körperbau wirkte athletisch, gewiss, aber
auf keinen Fall bedrohlich durch Muskelmasse oder dergleichen. Sein
schmales, fein geschnittenes Gesicht wurde von kurzen dunkelbraunen,
fast schwarzen Haaren gekrönt. Die Augen lagen im Schatten. Alles an
diesem Jungen schien gewöhnlich. Er war höchstwahrscheinlich ein
Schüler der höheren Jahrgangsstufen. Zwei Dinge aber wollten so
überhaupt nicht in dieses Bild passen.
Das eine war die
Ausstrahlung, die von dem Jungen ausging. Garnicht verängstigt oder
zumindest verwundert über die Situation, stattdessen unverrückbar,
wild und stark. Seine Aura durchdrang den Raum, füllte ihn komplett
aus. Es war unmöglich, sie zu ignorieren. Der Jugendliche schien
allein durch seine pure Existenz Macht auszustrahlen. Das
Selbstbewusstsein war unweigerlich spürbar, forderte Respekt und
Aufmerksamkeit. Diese Ausstrahlung war so stark, dass sie Gefühle zu
transportieren schien und diese zu manipulieren im Stande war. Die
Tatsache, dass das Team dies erst jetzt, nachdem sie schon die Hälfte
des Flurs zurückgelegt hatten, sprch dafür, dass der Junge erst in
diesem Moment an seinem Standpunkt aufgetaucht war.
Das zweite absolut
ungewöhnliche war, dass der Junge ein Schwert in der rechten Hand
hielt. Dieses Schwert war schwarz, kaum wahrnehmbar, so dunkel, dass
es das Licht einzusaugen schien. Seine Form erinnerte an ein
japanisches Katana, war jedoch größer, böser. Es steckte im
Kontrollkasten des Fahrstuhls, aus dem Funken sprühten, als ob er
gerade noch funktioniert hätte, ein weiteres Indiz für das
plötzliche Auftauchen des Teenagers.
Der Junge sah auf.
Seine Augen waren von der gleiche schwarzen Farbe und
Unbeschreibbarkeit wie seine Waffe. Sie schienen alles Licht, alle
Wärme einzusaugen, und doch strahlten sie etws aus, das ebenso
ungreifbar wie angsteinflößend war. Langsam, ganz langsam und
bedacht, zog der Junge sein Schwert aus dem immernoch
funkensprühenden Kasten. Unentwegt lag sein Blick auf den beiden
Teammitgliedern. Sie waren erstaunt, verblüfft. Für den Fall,
jemanden zu finden, hatten sie sich ein kleines, verängstigtes
Häufchen Elend vorgestellt, dass allen ihren Befehlen ohne
Widerstand Folge leisten würde. Stattdessen stand 50 Meter vor ihnen
dieser Junge. Mit einer Waffe, wie sie sie noch nie gesehen hatten.
„Hey!“, rief
Teammitglied 1. „Wie heißt du?“
„Kann dir egal
sein“. Die Stimme des Junge klang menschlich. Immerhin. Sie war
kühl, durchsetzt mit Ironie und Spott, das Gefühl von Überlegenheit
sprach daraus, genauso wie Belustigung.
„Es ist mir aber
nicht egal“, rief Nummer 1. „Wirf dein Schwert her und komm mit.
Wir bringen dich zu deinen Mitschülern. Man sollte nicht mit
gefährlichen Dingen spielen!“. Während dieser Worte zogen er und
sein Partner ihre Maschinenpistolen. „Die sind geladen, Kleiner!
Also hör auf mit dem Scheiß!“ Seine Stimme zitterte.
Der Junge grinste
kurz. „Nein“, sagte er leise, aber bestimmt.
„Nein?! Das war
keine Frage, Bürschchen! Übertreibs nicht! Wir sollen dich nr zu den
anderen bringen. Also lass dich mitnehmen und hör auf den Helden zu
spielen!“
„Ich spiele keinen
Helden. Ich bin kein Held. Ein Held würde euch entwaffnen, fesseln
und dann liegen lassen. Ich … ich töte euch.“
„Waaah … lass
den Scheiß, hab ich gesagt! Wir erschießen di..“
Aus einem
Lautsprecher kam plötzlich Musik. Es war „The Happy Song“ von
Poets of the Fall. Nicht, dass das Team das gewusst hätte. Es
spielte auch keine Rolle.
Der Junge grinste
jetzt breit. „Ahhhhh …“, seufzte er und warf den Kopf nach
hinten. Dann riss er sein Schwert hoch, blickte nach vorn auf seine
beiden Gegner. Und er rannte los, laut lachend.
Nummer 1 und 2
wussten nicht wie ihnen geschah. Aus den Lautsprechern dröhnte „I
told you I`m a Psycho“ und ein Wahnsinniger stürmte bewaffnet mit
einem schwarzen Schwert auf sie zu. Sie feuerten. Die Kugeln
prasselten aus den Pistolenmündungen in Richtung des
Heranstürmenden.
Plötzlich war
ihnen, als erlebten sie alles wie in Zeitlupe. Sie konnten ihre
eigenen Kugeln fliegen sehen. Als die Projektile den Jungen
erreichten, bewegte dieser sich auf einmal irrsinnig schnell. Er
wirbelte seine Waffe herum und blockte alle Kugeln ab. Sein Grinsen
verwandelte sich in ein Lachen. Und dann war er da. Zwischen ihnen.
Ein schwarzer Blitz. Rasend. Tödlich.
„Really I´m a
Pycho“. Die Erinnerung setzte aus.
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